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Liebe Leserinnen, liebe Leser,

„Yolo“ - you only live once - du lebst nur einmal: Das Jugendwort des Jahres 2012, das auch heute noch auf vielen Graffitis zu sehen ist, stellt eine im Grunde sehr einfache Form dar, wie wir mit der Vergänglichkeit des Lebens, die uns am Allerseelentag deutlich vor Augen geführt wird, umgehen können: Nämlich gar nicht. Dass das alles mal vorbei sein wird, wird völlig ausgeblendet. Wir leben im Hier und Jetzt, also wollen wir alles auskosten, was uns das Leben bietet, alles mitnehmen, was es auf dieser Welt zu erleben gibt. Das ist schön und gut, allerdings stoßen wir dabei auf zwei Probleme: Zum ersten wird es wohl kaum möglich sein, wirklich jeden einzelnen Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen und wenn es doch nur dieses eine Leben gibt, dann scheint es ziemlich bedrückend, wenn es eben nicht so klappt, wie wir uns das wünschen. Und zum zweiten: Dieses Leben hat ein Ende. Früher oder später wird alles vorbei sein. Und dann? Ist dann einfach nichts - schließlich leben wir ja nur einmal?

Als Christen müssen wir dieses Lebensmotto „you only live once“ etwas differenzierter betrachten. Denn es gibt nicht nur dieses eine Leben. Wir haben hier auf Erden keine bleibende Heimat, so beschreibt es der Apostel Paulus. Wir sind hier nur auf der Durchreise, auf dem Weg zu einem anderen Leben, einem Leben bei Gott. Das ist unsere Hoffnung und darauf dürfen wir bauen: „Wir glauben an die Auferstehung und das Leben der kommenden Welt“, so beten wir im Großen Glaubensbekenntnis - es gibt mehr als dieses eine Leben, mehr als diese eine Zeit. Würden wir uns dagegen „Du lebst nur einmal“ zu Eigen machen, dann werden wir am Ende feststellen müssen, dass es doch nicht ganz so funktioniert hat. Das Leben auf dieser Erde bleibt immer ein begrenztes Leben, ein Leben, das von so vielfältigen Krisen, Konflikten und Widerfahrnissen geprägt ist. Ein Leben, in dem wir uns so manches Mal wie in eine tiefdunkle Nacht hineingeworfen fühlen. Doch auch in diesem irdischen Leben dürfen wir auf Gottes Nähe vertrauen - nicht umsonst hat er seinen Sohn Jesus Christus in diese Welt gesandt und ihn Anteil nehmen lassen an all dem, was uns Menschen so umtreibt. Dabei blieb auch ihm das Leiden und schließlich der Tod nicht erspart. Aber das Leben Christi war mit dem Tod nicht vorbei - nein, der Tod war der Beginn eines neuen, eines ewigen, eines vollkommenen Lebens bei Gott. Der Tod ist nicht das Ende, kein grauer Herbsttag, keine dunkle Nacht, vor der wir uns fürchten müssten.

Hierzu kamen mir zwei Besuche auf dem Großheubacher Friedhof in der Woche vor Allerseelen in den Sinn, an welchen ich Sie gerne teilhaben lassen möchte. Als es mich zu Beginn der Woche das erste Mal auf den Friedhof verschlagen hat, bot sich mir ein sehr düsteres, trauriges und nicht sehr hoffnungbringendes Bild: Finsternis hüllte die Gräber ein. Kein Lichtschein war zu sehen. Doch als ich am Vorabend des Allerseelentages noch einmal dort war, blickte ich auf ein Meer von Kerzen. Und nach und nach kamen immer mehr Menschen und zündeten an den Gräbern Kerzen an. Die Dunkelheit - mit einem Mal schien sie wie vertrieben. Stattdessen erleuchteten unzählige Kerzen diesen eigentlich so düsteren Ort. 

Warum berichte ich Ihnen davon? Die Kerzen auf dem Friedhof erinnerten mich daran, dass es nicht zuletzt an uns selbst liegt, diese Welt, die gewiss weitab der Vollkommenheit ist und uns immer wieder vor schwierige, kräftezehrende und niederschmetternde Situationen stellen wird, mit unserem Licht - dem Licht des Glaubens zu erhellen und dadurch nicht nur unseres, sondern in diesen Tagen besonders auch die Leben unserer Mitmenschen zu erhellen. 

Die Flamme Gottes brennt in jedem von uns. Nehmen wir sie bewusst wahr, vertrauen wir darauf, dass er auch in den Dunkelheiten des Lebens ganz nah bei uns ist und dass all jene, die wir so schmerzlich vermissen, in seinem ewigen Licht geborgen sind - in einem zweiten Leben, einem Leben, das alles auf dieser Welt übersteigt. Und leben wir in der Zuversicht, dass Gottes Geist bereits in diesem irdischen Leben unter uns wirkt und uns auch durch finstere Zeiten begleitet.

Du lebst nicht einmal. Bei mir, Gott, lebst du weiter. Glauben wir daran. 

Ihr

Jakob Link 

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