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Liebe Schwestern und Brüder!

Am 27. März gedenkt die Kirche eines ihrer größten Mystiker: Meister Eckhart. Meister Eckhart stammte wohl aus einem Rittergeschlecht, wurde recht jung Dominikaner und studierte Theologie. Mit seinen Predigten erlangte er zwar Ruhm, doch erntete er auch viel Kritik von Seiten der offiziellen Lehre der Kirche. Sein Hauptanliegen war das Einswerden der menschlichen Seele mit Gott, die sogenannte „Unio mystica“.In seiner Predigt „Vom innersten Grunde“ schreibt er: „Wo die Kreatur endet, da beginnt Gott zu sein. Nun begehrt Gott nichts anderes von dir, als dass du aus dir selbst (...) hinausgehst, und Gott Gott in dir sein lassest.“ Für Meister Eckhart war es wichtig, dass der Mensch sich völlig frei macht für das Wirken Gottes, ja für Gott selbst. Dies sollte jedoch kein Selbstzweck bleiben, sondern immer auf das Handeln zum Wohle am Nächsten ausgerichtet sein.

Die tiefe Mystik Meister Eckharts zu entdecken und zu erfahren kann zur Lebensaufgabe werden. Dennoch ist sie aktuell und alltagstauglich: Es ist die Nachfolge Jesu, wenn ich mich für Gott und sein Wort mehr öffne als für die Verlockungen und FakeNews der Welt; wenn ich mich mehr auf Gott verlasse als mein Ego in den Mittelpunkt zu rücken.Von der amerikanischen Kinderärztin und Autorin Rachel Naomi Remen stammt eine Geschichte, die - wie ich meine - recht gut verdeutlicht, wie es gehen kann, Gott ganz in sich wirken zu lassen:

„Wie schwer ist es doch, jung zu sein, sagte Father O‘ Shea zu mir. Ich lachte und fragte, was er damit meine. Mit blitzenden Augen erzählte er mir von der ersten Patientin, zu der man ihn als Krankenhausgeistlichen gerufen hatte. Noch sehr jung und voller Eifer zu dienen, war er an das Krankenlager einer Frau gegangen, die am nächsten Tag einer schweren Operation unterzogen werden sollte. Sie hatte steif vor Angst in ihrem Bett gelegen. Kaum hatte er einen Stuhl herangezogen und sich zu ihr gesetzt, da sagte sie auch schon. „Father, ich habe das Gefühl, das ich morgen sterben werde.

“Während seiner Ausbildung war er auf solch eine Situation nicht vorbereitet worden, und nun saß er da und hatte absolut keine Ahnung, wie er darauf reagieren sollte. Um seine Verwirrung zu überprüfen, ergriff er erstmal ihre Hand und hielt sie fest. Da begann sie zu erzählen. Er hörte ihr kaum zu; immer noch ihre Hand haltend, suchte er in seinem Gedächtnis krampfhaft nach irgendwelchen Worten des Trostes aus der christlichen Tradition, nach Aussprüchen von Thomas Merton, Teresa von Avila oder Jesus. Als er den Raum betreten hatte, waren sie ihm noch alle präsent; aber nun waren sie wie weggewischt.

Die Frau sprach immer weiter und weinte auch ein wenig und sein Herz öffnete sich für sie in ihrer Todesfurcht. Schließlich schloss sie die Augen und er benutzte diese Gelegenheit, um Gott um Hilfe zu bitten, um die Worte, die ihm fehlten. Doch ihm fiel nicht das Geringste ein. Endlich schlief sie einfach ein und er ging, besiegt und überzeugt, nicht das Zeug zum Priester zu haben. Den Rest des Tages und die ganze Nacht hatte er damit verbracht, sich schmerzlich Gedanken über seine Unzulänglichkeit und über seine Berufung zu machen. Er hatte sich zu sehr geschämt, um die Frau noch einmal aufzusuchen.

Doch einige Wochen später hatte er einen Brief von ihr erhalten, in dem sie sich für all die wundervollen Dinge bedankte, die er während seines Besuches getan hatte, und ganz be-sonders für die wunderbaren Dinge, die er zu ihr gesagt hatte, die Worte des Trostes und der Weisheit. Sie würde sie niemals vergessen. Und dann zitierte sie ausführlich, was sie ihn hatte sagen hören.

Father O‘ Shea begann zu lachen, und ich musste ebenfalls lachen. „Das ist schon so lange her“, sagte er immer noch lachend. „Gott sei Dank, dass wir nie wieder so jung sein können.“ Er hielt inne, um sich die Augen zu wischen. Wissen sie, Rachel, sagte er dann, im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass Gott, wenn ich darum bete, jemandem dienen zu können, manchmal Ja sagt und manchmal Nein - und sehr oft auch: Geh mal zur Seite Patrick. Ich mache das selber.“

Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass wir öfter den Mut haben, Gott Platz zu machen, damit Er durch uns wirken kann. Mein Eindruck aus den vergangenen Tagen und Wochen ist, dass dies schon an vielen Stellen der Fall ist - es passiert viel Gutes in einer schwierigen Zeit. Allen dafür herzlichen Dank und Gottes Segen,

Ihre Pastoralreferentin

Kerstin Gerlach

Die Geschichte ist dem sehr lesenswerten Buch „Jenseits von Worten“ von Rachel Naomi Remen entnommen.

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