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Liebe Leserinnen, liebe Leser:

"Seid bereit!" - mit diesen Worten stimmt uns ein bekanntes Adventslied auf das Weihnachtsfest ein - jedenfalls soll es das. Doch gerade in diesen Tagen stellt sich angesichts immer tiefgreifenderer Einschränkungen, durch die viel Bewährtes wegbricht und welche die Tage des Advents zu einer entbehrungsreichen Zeit werden lassen, die Frage, wofür es sich eigentlich noch lohnt, bereit zu sein. Bereit sein für noch mehr schlechte Nachrichten? Bereit sein für weiteren Verzicht? Bereit sein für die endgültige Absage des Weihnachtsfests? All das sind wahrlich keine erstrebenswerten Vorstellungen und noch weniger etwas, für das es sich lohnt, bereit zu sein. Welcher tiefere Sinn verbirgt sich also in der Adventszeit? Eine Antwort hierauf mag die etymologische Definition des Wortes "Advent" liefern: Advent bedeutet Ankunft. Ankunft heißt, am Ziel zu sein. Wer am Ziel ist, hat einen Weg zurückgelegt - und wer einen Weg zurückgelegt hat, ist gezeichnet. 

Liebe Leserinnen, liebe Leser: Diese Worte mögen etwas pathetisch klingen, aber sie fassen doch gut zusammen, worin der besondere Schatz und zugleich das große Potenzial des Advents liegen. In diesen Tagen bereiten wir uns auf die Ankunft vor, eine Ankunft, die wir in zweierlei Dimension erfahren: Als Ankunft Jesu Christi in unserer Welt, als Menschwerdung Gottes und damit als Höhepunkt der Beziehung zwischen Gott und Mensch, aber auch als Ankunft in uns selbst, ja, man mag es schon als eine Art Selbstfindungsprozess bezeichnen, der im Advent in jedem von uns stattfindet. Doch werden wir in dieser besonderen Adventszeit wirklich ankommen? Neigen wir nicht dazu, angesichts der Dunkelheiten unseres Alltags den Blick auf das uns entgegenscheinende Licht der Weihnacht zu verlieren? Werden wir diesen Widrigkeiten zum Trotz das Ziel erreichen - oder bleiben wir auf der Strecke?

"Tauet, ihr Himmel, von oben! Ihr Wolken, regnet herab den Gerechten! Tu dich auf, o Erde, und sprosse den Heiland hervor!" - Die Worte des Eröffnungsverses am Vierten Adventssonntag lassen keine Zweifel. Die Zeit des Heils, die Zeit, zu welcher der Heiland, der Heilsbringer ankommen wird, steht unmittelbar bevor. Die theatralisch anmutende Darstellung dieser Ankunft lässt erahnen, dass uns das, was an Weihnachten geschieht, nicht kalt lassen wird - im Gegenteil: Die Weihnachtsbotschaft trifft uns mitten in unserem Leben. Sie trifft uns in den alltäglichsten Situationen. Sie lässt uns aufschrecken. Sie berührt uns inmitten der Dunkelheit. Sie ergreift uns, auch, wenn wir nicht mit ihr rechnen. Sind wir bereit?

So spricht euer Gott: „Tröstet, ja, tröstet mein Volk!

Ermutigt die Einwohner Jerusalems! Ruft ihnen zu: Nun habt ihr genug gelitten! [...] Die schreckliche Zeit ist vorbei! Eure Schuld ist beglichen.“

Hört! Jemand ruft: „Bahnt dem Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut eine Straße durch die Steppe für unseren Gott! Jedes Tal soll aufgefüllt, jeder Berg und Hügel abgetragen werden. Alles Unebene soll eben werden und alles Hügelige flach.

Denn der Herr wird kommen in seiner ganzen Herrlichkeit. Alle Welt wird ihn sehen, so hat er selbst es angekündigt. (Jes 40,1-5 HfA)

Liebe Leserinnen, liebe Leser: „Frohe Weihnachten“ - diese Worte sind mehr als nur ein schlichter Gruß, den wir in den kommenden Tagen wieder einander zusprechen werden - in ihnen scheint noch mehr zu stecken. Die Weihnachtsbotschaft erschließt weitaus tiefere Dimensionen als die bloße Tatsache, dass in einem Stall zu Bethlehem ein Kind geboren wurde - die Weihnachtsbotschaft unterbricht das, was bisher war, und das tut sie auf eine ganz unmittelbare und mitunter unerwartete Weise: Sie fordert heraus und ist gleichsam ein Initiationsmoment, sie ist Zündstoff für Veränderung.

In den Worten des Propheten Jesaja erfahren wir erste Andeutungen für den besonderen Schatz, an welchem ebendiese Weihnachtsbotschaft uns teilhaben lässt: „Tröstet, ja, tröstet mein Volk! Ermutigt die Einwohner Jerusalems! Ruft ihnen zu: Nun habt ihr genug gelitten! Die schreckliche Zeit ist vorbei!“.  Jesaja schreibt nicht, dass Weihnachten kein Fest der Geschenke wäre - im Gegenteil: Wir werden an Weihnachten noch reicher beschenkt, als wir es uns je erdenken könnten: „Nun habt ihr genug gelitten! Die schreckliche Zeit ist vorbei!“ - ist das nicht das größte und kostbarste Geschenk, das uns vorstellen können? In der Menschwerdung seines Sohnes, in dem, was sich in jenem Stall zu Bethlehem ereignet hat, erfüllt sich Gottes Heilszusage an uns: Er schickt seinen Sohn mitten in eine Welt, die von Leid, Krisen und Konflikten geprägt ist, in eine Welt, die gewiss alles andere als heil ist. Und er tut das aus Liebe. Aus Liebe zu den Menschen - aus Liebe zu uns. Jesus Christus ist die menschgewordene Liebe Gottes, er ist derjenige, der von Gott gesandt wurde, um unser menschliches Leid, unsere menschlichen Nöte mitzutragen - er ist der, der die Dunkelheiten unseres Lebens ein für alle Mal besiegt hat - und mit dessen Hilfe auch wir sie besiegen können. Dieses Geschenk, das von Gott kommt, ist eines, für welches es sich wirklich lohnt, bereit zu sein. 

Liebe Leserinnen, liebe Leser, doch damit noch nicht genug der Geschenke: Das Potenzial der Weihnachtsbotschaft scheint derart groß zu sein, dass sie selbst dazu imstande ist, die engen Fesseln, die uns in unserem Leben so manches Mal fest umschließen, zu sprengen. Als ein sehr eindrucksvolles Beispiel hierfür kommt mir der Weihnachtsfrieden am 24. Dezember des Jahres 1914, also inmitten des ersten Weltkrieges in den Sinn. In die Kälte des Gefechts, in die tiefsten Dunkelheiten menschlicher Erfahrungen dringt die Weihnachtsbotschaft ein und knüpft ein Band der Verbundenheit, wo zuvor Trennung und Gewalt herrschten. Kronprinz Wilhelm fasst die Geschehnisse pointiert zusammen: „Mitten im bitteren Ernst des heimtückischen Grabenkrieges hat die Weihnachtsbotschaft ein Wunder gewirkt und von Mensch zu Mensch eine Brücke geschlagen.“ - Auch wir dürfen an diesem Wunder teilhaben: Weihnachten verbindet! Die frohe Kunde von der Menschwerdung Jesu Christi führt die Menschen nicht nur mit Gott zusammen, vielmehr noch: Weihnachten verbindet die Menschen untereinander - es verbindet über alle Grenzen hinweg, es durchbricht die Dunkelheit unseres Alltags. Selbst die tiefsten Finsternisse können der Strahlkraft des Weihnachtswunders nicht standhalten.

Liebe Leserinnen, liebe Leser: "the true spirit of christmas lies in your heart" - der wahre Geist der Weihnacht liegt in unseren Herzen. Es waren Hirten und damit eine in der damaligen Zeit wahrlich nicht hoch angesehene Bevölkerungsgruppe, welche zuerst die frohe Kunde von der Geburt Jesu erreichte. Es waren Soldaten, die das verbindende Potenzial der Weihnachtsbotschaft inmitten der Kälte des Krieges erfuhren. Weihnachten bedarf keiner großen Inszenierung, denn Weihnachten findet in unseren Herzen statt. Auch, wenn wir dieses Fest heuer nicht so begehen können, wie wir es gewohnt sind: Weihnachten fällt nicht aus. 

So wollen wir uns in diesem Jahr ganz besonders berühren lassen vom Geheimnis der Weihnacht: Dem Geheimnis, das uns alle verbindet - mit Gott und untereinander. Dem Geheimnis, das alle Grenzen, alle Entfernungen überwindet. Dem Geheimnis, das uns spüren lässt, wie sehr Gott uns liebt. Dem Geheimnis, das uns dann trifft, wenn wir es am wenigsten erwarten. Dem Geheimnis, das uns mit Wärme erfüllt, wenn uns Ängste und Sorgen die Kälte dieser Welt spüren lassen. Das Geheimnis, das unseren Weg erleuchtet, wenn wir uns in den Dunkelheiten dieses Lebens verirrt haben und keinen Ausweg mehr sehen. Das Geheimnis, das uns stärkt für all die Herausforderungen, die noch vor uns liegen. Das Geheimnis, das uns die Gewissheit gibt, von Gott geliebt zu sein. Das Geheimnis, dass wir glauben dürfen - nicht zuletzt auch an uns selbst. 

Wollen wir also bereit sein. Bereit für Weihnachten, bereit für das Wunder, an dem Gott uns teilhaben lässt.

Liebe Leserinnen, liebe Leser: Die Welt ist nicht heil, aber sie gibt uns immer wieder einen neuen Anfang - Weihnachten ist ein solcher Anfang.

Mit diesen Worten wünsche ich Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest, besinnliche Feiertage und die Freude über diese einzigartige Botschaft im Herzen!

Ihr Jakob Link 

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